Wenn nicht der Berg, sondern die Halle ruft
Dass der Klettersport sich in den letzten Jahren zum regelrechten Boom entwickelt hat, ist in erster Linie auch den zahlreichen Indoor-Kletter-Anlagen zu verdanken. Denn hier kann unabhängig von Wetter und Jahreszeit auch noch nach Feierabend trainiert werden. Klar, dass am Ende auch der Handel von dieser Entwicklung profitiert.
Text: Astrid Schlüchter
Indoor-Klettern boomt. Insbesondere Städter gehen regelmäßig die Wände hoch. Dass die ehemalige Nischensportart inzwischen zu den neuen urbanen Freizeitbeschäftigungen gehört, ist auch dem Deutschen Alpenverein nicht entgangen. In München und Umgebung bietet der DAV insgesamt vier eigene Kletteranlagen an, die Halle in München-Süd zählt seit der Erweiterung 2011 sogar weltweit zur größten Plattform. Und in fast allen ist trotz breitem Angebot zu Stoßzeiten nach Feierabend die Hölle los. Fragt man beim Deutschen Alpenverein nach, gibt es gut eine halbe Million Kletterinnen und Kletterer momentan in Deutschland, 80 Prozent der Besucher in den Verbundhallen sind zudem Mitglieder im DAV. Mit dem Boom sind die Ansprüche an die Kletterhallen deutlich gestiegen – an das Kletterangebot, den Komfort und den Service. Die Trends: schöner, größer und mehr Boulderfläche. „Der Klettersport boomt seit vielen Jahren. Das zeigen nicht nur die Mitgliederzahlen der Alpenvereine in der Schweiz, Deutschland und Österreich, sondern spiegelt sich auch in neuen Kletterhallen und Events in Ost-Europa und Asien wieder. So sind es zum Beispiel im deutschsprachigen Raum heute weit mehr als eine halbe Millionen, in den USA hingegen über fünf Millionen Begeisterte, die ihre Herausforderung am Fels oder in der Kletterhalle suchen – ein Trend der weiter anhält“, so Fabian Erhard, Public Relations Manager der Mammut Sports Group AG. Dass München die Bergsteigerhauptstadt Nummer 1 ist, liegt in erster Linie daran, dass man die Alpen direkt vor der Tür hat, aber auch daran, dass es die größte Zahl an DAV-Sektionen bietet. Auch die Quadratmeter an Kletterfläche in den diversen Kletteranlagen werden sonst nirgends übertroffen. Allein die vier großen DAV-Verbundhallen in München Süd, West, Bad Tölz und seit einem Jahr in München Nord bringen es auf rund 16.000 Quadratmeter Kletterfläche. Das ist beachtlich, dazu kommen dann noch Anlagen wie das Heaven‘s Gate, High-East und die Boulderwelt. Doch selbst das reicht für die Massen an bayerischen Kraxelfreudigen nicht aus. „An guten Tagen kommen schon mal um die 100 Mitglieder, um nach Feierabend zu klettern oder beim Bouldern zu trainieren. Danach gibt’s im Bistro noch ein Feierabendbier. Im Prinzip ist die Kletterhalle ebenso ein Treffpunkt sportlich Aktiver wie das Fitnessstudio. Nur, dass man bei uns nicht an Geräten Ausdauer und Kraft trainiert, sondern eben an künstlichen Wänden“, so Peter Zeidelhack, seit 12 Jahren Betriebsleiter im DAV-Kletterzentrum Thalkirchen. Zeidelhack klettre selbst seit über 20 Jahren aktiv in seiner Freizeit und ist in den Verbundhallen auch als Routenschrauber unterwegs. "Klettern macht Spaß - von 4 bis 99 Jahren trainieren regelmäßig Kletterbegeisterte Indoor. Beim breitensportlichen Klettern geht es heute auch um die Freude an der Bewegung. Der Sport ist schließlich ein perfektes Ganzkörpertraining, das man zu zweit oder beim Bouldern alleine mit seinem eigenen Körpergewicht umsetzen kann. Darüber hinaus bieten alle DAV-Anlagen die Möglichkeit, den Sport auch draußen auszuüben. Es gibt Raum für Kursangebote und immer neue Routen sowie vielfältige Griff- und Wandstrukturen. Vom Anfänger bis zum Kletterprofi bleibt kein Wunsch offen oder unbeachtet.“

Die Entwicklung hat mehrere Ursachen: Das Klettern ist auf Grund der vielen, fortschrittlichen Indooranlagen in den Städten angekommen und so für viele Leute sichtbar und präsent. Zudem ist die Sportart im Grundsatz relativ sicher und inzwischen weit weg vom früheren Status einer Randsportart für abgedrehte Abenteuerfreaks. Denn in den Hallen kann man die richtigen Klettertechniken, Sicherungsmethoden und die dazugehörigen Knoten optimal verinnerlichen. Vorbei die Zeiten, als der Alpinist Reinhold Messner als Sinnbild für den Klettersport stand. Heute wollen Jung und Alt sicher klettern und bouldern, ohne Gefahren wie Steinschlag in ungesichertem Terrain. Zudem identifiziert man sich heute mit den Nachwuchsstars wie Juliane Wurm, Adam Ondra und Co, die allesamt auch zum Trainieren in die Halle gehen. Salewa, Kooperationspartner der DAV-Verbundhalle München-Süd veranstaltet deswegen auch regelmäßig eigene Workshops, die zum Testen, Mitmachen und Lernen animieren. Beim Salewa-Tag können Interessierte z.B. an einem speziellen Bouldertraining mit dem Athleten Christian Bindhammer teilnehmen oder sich für ein Sicherheits- und Strurzworkshop mit dem Bergführer Michi Wärthl anmelden. „Dass Sportklettern in der Halle gefragt ist, sehen wir auch an der steigenden Nachfrage nach entsprechendem Equipment oder Bekleidung. Die Kletterhose „Hubble“ ist sozusagen einer unserer Dauerbrenner in diesem Segment. Die Halle ist ein wichtiger Faktor zur Trainingsvorbereitung auf den Fels geworden“, so Verena Oberndorfer von Salewa.
Und auch das Klettern unterliegt Trends. So findet vor allem das Bouldern, die abgespeckte Klettervariante ohne Seilsicherung und Klettergurt, immer mehr Anhänger. Weil beim Bouldern in Absprunghöhe geklettert wird, braucht man dazu nicht einmal mehr einen Sicherungspartner – weiche Matten fangen den Sturz ab. In vier Meter Höhe ist der Gipfel erreicht. Boulder-Hauptstadt ist seit der Eröffnung der Boulderwelt am Ostbahnhof im übrigen auch München, mit 1.300 Quadratmetern Kletterfläche ist sie die größte Boulderhalle der Welt. Doch auch in Köln, Berlin und Umgebung sprießen die künstlichen Anlagen aus dem Boden. Ein Ende ist beim Kletterboom noch lange nicht Sicht. „Klettern wird immer öfter als Schulsport eingeführt, findet Zuspruch in der Erlebnispädagogik und zu therapeutischen Zwecken wird sich das Sportklettern in künstlichen Kletteranlagen auch in Zukunft weiter entwickeln und noch breitere Bevölkerungsgruppen ansprechen. Darüber hinaus steht Sportklettern als neue Disziplin auf der Agenda 2020 für die olympischen Sommerspiele in Tokio und hat damit nach 2013 zum zweiten Mal die Möglichkeit in das Programm aufgenommen zu werden. Zwei Events mit den Disziplinen Bouldern, Speed und Lead-Klettern sind vorgeschlagen“, so Zeidelhack.
Dass das Klettern zum Breitensport geworden ist, hat auch Vorteile. Wer in der Woche regelmäßig zum Klettern in die Halle geht, sucht nach entsprechender Ausrüstung. Kein Wunder, dass große Outdoormarken gerne mit den neuen Indoor- und Boulderhallen kooperieren und vor Ort auch ihre Produkte zum Testen und als Leihware anbieten. „Durch die Kooperationen mit verschiedensten Kletter- und Boulderhallen können wir unsere Zielgruppe perfekt erreichen, auf die Marke aufmerksam machen und die Bekanntheit weiter ausbauen. Ganz egal, ob am Fels oder in der Halle, als Label von Kletterern für Kletterer sind wir überall dort, wo das Klettern zuhause ist. Durch die unmittelbare Nähe zu den Verbrauchern, haben wir einen direkten Draht zu ihnen und erhalten so Feedback zu unseren Kollektionen, was uns hilft noch besser zu werden“, so Martin Hanke, Allround Marketing Manager Sport Skylotec & Gentic. Darüber hinaus ist die erste Grundaustattung relativ günstig. Man benötigt einen Klettergurt, den es bereits ab 50 Euro gibt, ein Sicherungsgerät ab 30 Euro, Kletterschuhe ab 80 Euro, ein Dynema-Seil und ein Helm. Das Set kostet zusätzliche 150 Euro. Alle Ausrüstungsgegenstände gibt es allerdings auch leihweise in den Kletterhallen. Für ein paar Stunden Klettervergnügen zahlt man zwischen 5 und 18 Euro Eintritt.

Stefanie Donner, Vertrieb Prana Deutschland: „Die Nachfrage nach Kletterbekleidung ist in den letzten Jahren stark gestiegen. Die Anzahl der Sportler, die sich nur für die Kletterhalle einkleiden, ist deutlich größer geworden. Das liegt auch daran, dass sich das Indoor-Klettern zu einer Ganzjahressportart entwickelt hat. Beim Kletterhallen-Boom beobachten wir außerdem ein ausgeprägtes Nord-Süd-Gefälle in Deutschland. Die Nachfrage nach Kletterhosen ist besonders groß – wenn eine Hose sitzt, dann kaufen Kletterer gerne auch das selbe Modell in verschiedenen Farben. Spezielle Damen-Tops zum Klettern sind zudem beliebt.“ Das bestätigt auch Florian Wahl, Leitung Vertrieb Sport Skylotec & Gentic: „Der Handel profitiert gerade durch die Möglichkeit das Material testen zu können von solchen Kooperationen und dem wachsenden Kletter- und Boulder-Boom. Wer sich die ersten Male in der Halle etwas ausleiht, wird sich in der Regel ziemlich schnell sein eigenes Material anschaffen. Klettern und Bouldern ist immerhin für die meisten nicht nur ein kurzer Trend, sondern vielmehr ein sehr positives „Virus“, das einen so schnell nicht mehr loslässt. Was noch nicht ganz beim Handel angekommen ist, ist das Klettern und Bouldern nicht mehr nur reine Sommersportarten sind. Durch die noch immer wachsende Zahl an Hallen, ist Klettern nun auch ganzjährig zu betreiben und nimmt immer mehr einen regelrechten Fitnesscharakter an. Dies lässt sich anhand der Verkaufszahlen belegen, die jetzt auch im Winter zunehmen.“ Denn laut einer Umfrage, so Wahl, spielen sich gute 75 Prozent des Trends in den Hallen und nicht am Felsen ab. Für viele Hallenbesucher sind die künstlichen Wände eben das neue Fitnessstudio und in den wenigsten Fällen bestehen Ambitionen überhaupt an den Fels zu gehen.


Autor: Astrid Schlüchter
Redaktion Süd sportFACHHANDEL
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Dieser Artikel ist aus der Ausgabe: sport-FACHHANDEL Nr. 06 / 2016
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