Erst das Konzept, dann die Marge
Der Kletter- und Sicherheits-Spezialist Edelrid wird eineinhalb Jahrhunderte alt und trotzdem nicht weise:

Er hält an dem Produktions-Standort Deutschland fest – und verfolgt damit eine Vision, aber auch handfeste Absichten. Im Gespräch mit sportFACHHANDEL erläutert Carsten von Birckhahn, Brand Manager des Unternehmens, warum dessen langfristige Strategie nicht primär auf Gewinn-Maximierung abgestellt ist, sondern auf Güte der Produkte und eine Herstellung, die flexibel auf den Markt reagieren kann. Der Handel, so die Idee, ist einer der Nutznießer dieser Philosophie.
sportFACHHANDEL: Edelrid wird 150 Jahre jung und produziert im Wesentlichen immer noch in der eigenen Fertigung in Isny im Allgäu. Können Sie uns kurz vorrechnen, warum das immer noch machbar ist? Was würden Sie sich sparen, wenn Sie die Produktion in andere Länder verlegen würden?
Carsten von Birckhahn: Die Produktwelt von Edelrid ist sehr sensibel, da es sich zu großen Teilen um PSA-Produkte (Produkte zur persönlichen Schutzausrüstung) handelt. Der hohe Qualitätsanspruch, der an diese Produkte gestellt wird, ist in Asien nicht darstellbar. Wir können jeden einzelnen Schritt der Produktionskette selbst nachvollziehen. Und sind stolz, Arbeitsplätze in Deutschland sichern zu können.
Die Produktion in Isny ist allein nach dem Kriterium „Marge“ nicht rechenbar, weil ein ganzes Konzept dahintersteckt. Edelrid ist Produkt- und Innovations-getrieben, und dies geschieht vollumfänglich im Haus. Andere Marken sind Marketing-getrieben und fertigen Produkte in Asien. Oft gibt es hier eine Differenz zwischen Produktentwicklung und zurückkommendem Prototyp. Bei uns werden selbst die Produkte, die dann in der eigenen Produktion in Vietnam gefertigt werden, zu 100% in Isny entwickelt.
„Made in Germany“ hört sich zwar sehr gut an, doch wo liegen die objektiven Vorteile darin – das Image mal außer Acht gelassen –, sich um die Produktion selbst zu kümmern?
Sich um Produktion selbst zu kümmern, bedeutet, die gesamte Wertschöpfungs-Kette auszuwählen, zu kontrollieren und in jedem Schritt durchgreifen zu können. Neben dem hohen Anspruch an Qualität spielt hier die Nachhaltigkeit eine wichtige Rolle.
Der größte Nutzen für den Fachhandel besteht darin, dass die Supply Chain reaktionsschnell ist und so auf saisonale Marktveränderungen schnell reagieren kann. Ein Beispiel hierzu: Neulich hatte ein Großkunde aufgrund eines Liefer-Engpasses (Mitbewerber konnte nicht liefern) nach einem Produkt gefragt. Innerhalb von zwei Wochen konnte Edelrid in Absprache mit dem Kunden ein neues Produkt designen und liefern. Auf den Kunden konnte innerhalb kürzester Zeit eingegangen und seine Bedürfnisse befriedigt werden.
Während es nach wie vor in der Branche üblich ist, Seile in Europa zu produzieren, vor allem in der Schweiz, Frankreich, Deutschland und in Osteuropa, ist das bei Klettergurten und verwandten Artikeln längst nicht mehr üblich. Welchen Nutzen haben Sie davon, auch diese Produkte nicht nur selbst zu entwickeln, sondern auch effektiv herzustellen? Zum Verständnis: Bei Edelrid werden sämtliche Gurt-Materialien von den hochwertigen Rohstoffen der Bergseile abgeleitet. Dementsprechend ist ein hoher Qualitäts-Standard hier unumgänglich. Sehr fertigungsintensive Produkte wie Klettergurte werden bei uns entwickelt und im eigenen Werk in Vietnam genäht. Klettersteig-Sets und Schlingen werden nach wie vor in Isny gemacht, da wir durch cleveres Engineering Prozessschritte zusammenziehen und bei der Entwicklung den Standort so berücksichtigen, dass wir Fertigungsschritte optimieren können.
Sie stellen eine Reihe von Produkten wie eben Klettergurte in der eigenen Produktion in Vietnam her. Welche Unterschiede sehen Sie dabei, die Artikel in Deutschland bzw. in Fernost zu produzieren? Zweifelsohne ist die asiatische Nähfertigkeit bewundernswert. Jedoch bestimmen bei einem erfolgreichen Klettergurt andere Faktoren den Erfolg, zum Beispiel sind Materialwahl der Beschlagteile, Qualitätssystem und -sicherung viel Spiel entscheidender für ein Produkt dieser Kategorie. Unser Konzept ist es, die Kopie des Qualitätssystems von Isny in Asien zu implementieren – durch gleiche Maschinen, gleiche Nähprogramme, identische Kopie der Produktionseinheit. Tragende Elemente wie Nähfäden und Bänder werden von Isny aus eingekauft und qualitätsgesichert. Dies ist ein anderes Niveau als bei Mitbewerbern, die in Fremdproduktion geben und nicht 100% Einsicht in die Herstellung haben.
Metallwaren wie Steigeisen und Pickel werden in der Branche immer noch bevorzugt in Europa produziert, während die Herstellung von „textiler Hartware“ wie Gurte und Schnüre weitgehend in Asien erledigt wird. Warum ist das eigentlich (noch) so? Die Frage ist nicht ganz richtig. Leider ist es so, dass mittlerweile mehr als 50% der im Markt befindlichen Hartwaren ebenfalls aus Asien kommen. Leider spricht niemand offen darüber. Edelrid verfolgt in diesem Zusammenhang folgende Philosophie: Wir kaufen uns hochwertige europäische Karabiner zu, verkaufen diese mit kleiner Marge und fördern so den Stellenwert europäischer Produkte. Unsere Karabiner-Range ist zu 100% in Europa gesourct.
Bei Eisgeräten beziehen wir Einzelteile von verschiedenen weltweiten Lieferanten und stellen durch die Qualitäts-Eingangskontrolle, das Assembling und die Ausgangskontrolle sicher, dass die von uns definierten Qualitäts-Maßstäbe eingehalten werden.
Wie im Vaude-Konzern üblich, zu dem Edelrid auch gehört, legt die Firma besonderen Wert auf ökologisch nachhaltige Produkte. Inwieweit taugt das als Verkaufsargument in einer Warengruppe, in der der Sicherheits-Aspekt so sehr dominiert? Um 1 kg Textil zu färben. werden durchschnittlich 700 l Wasser benötigt – Edelrid konnte dies für die Seilproduktion durchschnittlich auf ca. 40 l pro 1 kg Textil reduzieren. Qualität und Normkonformität steht für uns über allem. Wenn es möglich ist, einen so großen ökologischen Beitrag zu leisten, ist es unsere Verpflichtung gegenüber nachfolgenden Generationen dies auch zu tun.
Das Interview führte Markus Huber.




Autor: Markus Huber
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Dieser Artikel ist aus der Ausgabe: sport-FACHHANDEL Nr. 14 / 2013
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